Von der Abwesenheit
Zentral und leer. Ben Willikens Versionen vom “Abendmahl”
In den leeren Räumen des Malers Ben Willikens (sehen Sie auch das Interview) wird eine Abwesenheit sichtbar. Nichts rührt sich. Kein Deut von Leben, keine Zeit, keine Spur jedweder Nutzung, kein Tun, kein Vorgang, keine menschliche Regung und nirgends auch nur denkbar eine menschliche Handlung. Null Kommunikation. Gleißendes Licht strömt von Außen in diese entmenschlichten Innenräume, fällt durch seitliche Fenster oder von hinten durch Türen oder offene Durchgänge auf spiegelblanke Böden. Doch das Außen bleibt ausgeschlossen und abwesend. Kein Blick nach draußen, kein Entkommen, keine Ausflucht. Der White Cube als unentrinnbares Labyrinth.
Dieser auf einen radikalen Punkt getriebenen Abwesenheit entspricht der fast völlige Verzicht auf Farben. Grau in allen Abstufungen und Schattierungen ist die Farbe dieser großen Abwesenheit. Kein Malduktus, kein gestischer Pinselstrich lässt auf einen persönlichen Urheber, den Maler schließen. Der hohe, leere Raum ist auch bedeutungsoffen. Nichts weist auf Transzendentes, Überweltliches oder Jenseitiges hin. Keine Sonstwiemystik. Kein Anhaltspunkt ob Ende, Untergang oder Hoffnung gemeint ist.
Und doch: In der grauen Negation und der starrenden Abwesenheit all dessen weiten sich Willikens Räume zu Erwartungsszenen. Nichts regt sich – und doch erwarten wir mit gesteigerter Spannung, dass die unerträgliche Leere sich ergebe. Seine Wiederkunft? Weniger Heilserwartung, denn prinzipielle Offenheit ist das große Thema von Willikens monumentalen Raumbildern. Wir begegnen ihr jäh, wo wir uns ihr doch sonst tunlichst entziehen. Diese auszuhalten, sich mit dieser umfassenden Abwesenheit konfrontiert zu sehen, erfordert vom Betrachter ein ungewohntes standing.
Wo träte dieser lichtdurchflutete horror vacui unentrinnbarer zu Tage als vor Willikens “Abendmahl” - eine Paraphrase und Entgegnung auf Leonardo da Vincis “Letztes Abendmahl” für das Mailänder Kloster Santa Maria della Grazie (1494 –1498)?
Willikens Auseinandersetzung mit diesem monumentalen Wandbild setzte Mitte der siebziger Jahre ein. Fünf Versionen liegen vor, eine sechste “schwarze Version” befindet sich gegenwärtig in Arbeit. Von Gründungsdirektor Heinrich Klotz wurde das “Abendmahl” (1976 – 1979) für den Ungers-Neubau des DKM in Frankfurt a.M. als Programmbild der Postmoderne erworben. Abendmahl II (2008), wesentlich heller und schwebender ist im Museum am Dom in Würzburg ausgestellt. Ist Leonardos Abendmahl vor allem wegen seines Themas, der szenenhaften Bildauffassung der biblischen Geschichte vom Abendmahl und der vorherrschenden Zentralperspektive berühmt, antwortet Willikens mit einem Idealraum ohne Jesus, ohne die Jünger und ohne Abendmahl. Der Ausblick durch die drei Fenster im Hintergrund – bei Leonardo noch auf eine liebliche Landschaft gerichtet – bleibt bei Willikens verwehrt. Nicht einmal lässt sich unterscheiden, ob der Blick durch die Raumöffnungen in einen Freiraum geht, oder nur in einen angrenzenden weiteren Raum. Die Zentralperspektive wird zur Totalperspektive: kein Entkommen. Der Speiseraum erscheint als Leichenschauhaus, die Speisetafel als Seziertisch. Die bisher letzte Version, erst in diesem Jahr entstanden, verzichtet selbst auf den christlich bedeutungsvollen Bildtitel “Abendmahl”. Willikens “Raum 608″ ist frei von jeder christlicher Ikonologie und dabei keineswegs Ikonoklasmus. Das ist zu bedenken, wenn man dieses Zentralwerk Willikens, ein Triptychon von monumentalen Abmessungen (300 x 600 cm), christlich deuten will, etwa als Veranschaulichung jenes Christusworts “Ich bin nicht von der Welt”, oder auch “Ihr werdet mich suchen und nicht finden; und wo ich bin, könnt ihr nicht hinkommen” aus dem Johannesevangelium. Die Abwesenheit ist weiter ungeklärt.
C. F. Schröer
© Photographie Abendmahl: Michael Steinle
20.06.2011 09:42 (Kommentare: 0) | Weiterempfehlen
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